ALCL: Sind Brustimplantate krebserregend?
Zu Silikonimplantaten kursieren immer wieder verschiedene Schreckensmeldungen: Silikon im Blut, Krebs, ALCL, Kapselfibrose, geplatztes Implantat etc. Und während es natürlich richtig ist, dass eine Brustvergrößerung mit Implantaten nicht ganz ohne Risiken ist, müssen diese stets in ein richtiges Verhältnis gesetzt werden. Auch die genaue Aufklärung ist wichtig, damit Patientinnen sich auf der Grundlage korrekter Informationen entscheiden können, welche Risiken Sie eingehen möchten.
In diesem Beitrag möchte ich Ihnen daher umfassende Informationen zu BIA-ALCL geben, einer seltenen Krebsform, die im Verdacht steht, durch (bestimmte) Brustimplantate ausgelöst zu werden.
Was ist BIA-ALCL?
BIA-ALCL steht für Brustimplantat-assoziiertes anaplastisches großzelliges Lymphom (breast implant-associated anaplastic large cell lymphoma). Es ist eine Form des anaplastischen großzelligen Lymphom (ALCL), welches durch Brustimplantate ausgelöst wird. Wichtig ist dabei zu betonen, dass BIA-ALCL kein Brustkrebs ist sondern ein Lymphom, also eine völlig andere Art von Tumor. Es ist folglich kein Tumor des Brustgewebes selbst, sondern es kann um ein Brustimplantat und dessen Kapselgewebe herum entstehen.
Was ist ein Lymphom?
Lymphome, oder besser maligne Lymphome sind verschiedene Krebserkrankungen des lymphatischen Systems, also in den Lymphbahnen, den lymphatischen Organen (Lymphknoten, Thymus, Milz, Knochenmark) oder in lymphatischem Gewebe und Zellen, die auch an anderen Stellen im Körper auftauchen (etwa den Mandel, dem Magen oder der Haut). Bei dieser Art von Tumor wachsen und vermehren sich die Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) unkontrolliert.
Was zeichnet anaplastisch großzellige Lymphome und speziell das BIA-ALCL aus?
Ein anaplastisches großzelliges Lymphom (ALCL) ist eine seltene Form des Non-Hodgkin-Lymphoms. Die Non-Hodgin-Lymphome umfassen etwa dreißig verschiedene Lymphom-Erkrankungen, außerdem gibt es noch das Hodgkin-Lymphom und das sogenannten Multiple Myelom, eine Plasmazellenerkrankung.
Das ALCL zeichnet sich durch große anaplastische Zellen mit pleomorphen oder hufeisenförmigen Zellkernen aus. Es kann lokal auftreten oder sich zu einer aggressiven, systemischen Erkrankung ausbilden.
Anaplastisch bedeutet dabei, dass höher differenzierte Zellen in weniger differenzierte Zellen übergegangen sind. Bei einem Tumor bzw. Lymphom bedeutet dies, dass nicht mehr erkenntlich ist, aus welchem Gewebe ein anaplastischer Tumor entstanden ist.
Das BIA-ALCL ist ein anaplastisch großzelliges Lymphom, welches in der direkten Umgebung des Implantats auftritt, entweder in der serösen Flüssigkeit um das Implantat herum, in der Kapsel oder sogar weiteres Gewebe betreffend mit zusätzlicher Tumormasse unmittelbar neben der Kapsel. Im Gegensatz zu anderen Non-Hodgkin-Lymphomen hat es seinen Ursprung jedoch nicht in den B-Zellen, sondern es handelt sich um ein T-Zell-Lymphom.
Wer ist von einem mit einem Brustimplantat assoziierten Lymphom betroffen?
Prinzipiell kann natürlich jede Frau, die eine Brustvergrößerung mit Implantaten hat durchführen lassen, von einem anaplastisch großzelligen Lymphom betroffen sein.
Im folgenden werden Sie sehen, dass bisher keine Risikofaktoren in einer bestimmten Lebensweise noch in der Prädisposition der betroffenen Frauen festgestellt werden konnten. Auch der Zeitpunkt des Auftretens eines mit Brustimplantaten assoziierten Lymphoms ist mit durchschnittlich mehr als 10 Jahren nach Implantation so weit, dass keine bestimmte Regel erkenntlich ist.
Wann kann ein ALCL nach einer Brustvergrößerung auftauchen und wie häufig ist es?
Die Zeitspanne, in der diese Art von Krebs aufgrund eines Brustimplantats auftreten kann, ist extrem lang. Frühe Fälle wurden bereits innerhalb eines Jahres nach der Brustvergrößerung registriert. Das späteste Auftreten eines anaplastisch großzelligen Lymphoms, welches bis jetzt gemeldet wurde, ist 41 Jahre nach der Brust OP. Der mittlere Schnitt liegt bei 10 Jahren nach der Brustvergrößerung und einem durchschnittlichen Erkrankungsalter der Patientinnen von 55 Jahren.
Zur Häufigkeit des BIA-ALCL sind sich die Wissenschaftler noch uneinig. Fest steht, dass das Auftreten extrem selten ist. Die aktuell vorliegenden Angaben zur Häufigkeit einer ALCL-Erkrankung aufgrund von Brustimplantaten schwanken zwischen 1 einer von 700 bis 3 von 100 Millionen Frauen mit Brustimplantaten. Weltweit sind bisher etwa 1.250 Fälle bekannt, davon alleine circa 400 in den USA.1 In Deutschland waren Ende Juli 2022 insgesamt 37 Fälle eine BIA-ALCL dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet.2
Gibt es Risikofaktoren für BIA-ALCL?
Bisher konnten keine weiteren Risikofaktoren für BIA-ALCL ausfindig gemacht werden. Ganz gleich, in welchem Alter sich die Patientinnen befanden, ob es bereits eine Krebsvorerkrankung gab oder nicht, ob die Brustvergrößerung aus ästhetischen Gründen, als Brustrekonstruktion nach Brustkrebs oder im Rahmen einer Geschlechtsumwandlung durchgeführt wurde, das Risiko, an BIA-ALCL zu erkranken, bleibt gleich.
Auch konnte nicht eindeutig ein bestimmter Implantattyp ausfindig gemacht werden, auf den das anaplastische großzellige Lymphom zurückgeht. Es besteht allerdings die Vermutung, dass stark texturierte Implantate das Erkrankungsrisiko erhöhen.
Können bestimmte Implantate das ALCL-Risiko erhöhen?
Für Brustimplantate gibt es prinzipiell zwei mögliche Füllungen: Silikongel und Kochsalzlösung. Während in Deutschland vornehmlich Silikonimplantate eingesetzt werden, ist das Verhältnis in den USA etwa ausgeglichen. Die Füllung der Implantate scheint keinen Einfluss auf das BIA-ALCL-Risiko zu haben. Bei den der FDA gemeldeten Fällen waren 234 Implantate mit Silikongel gefüllt, 179 mit Kochsalzlösung.
Anders könnte es bei der Hülle der Implantate aussehen. Die Implantathülle besteht bei fast allen Brustimplantaten aus Silikon, Variationen gibt es hier in der Beschaffenheit der Hülle. Die Oberfläche der Implantathülle kann entweder glatt oder texturiert (aufgeraut) sein.
Texturierte Implantate erhöhen das ALCL-Risiko
Texturierte Implantate bieten verschiedene Vorteile. Sie heilen besser im Gewebe ein und haben daher ein vermindertes Risiko für eine Kapselfibrose und für Implantatbewegungen. Der aktuelle Kenntnisstand bietet jedoch Anhaltspunkte dafür, dass bei stark texturierten Implantatoberflächen das Risiko für BIA-ALCL steigt.
Bei den ALCL-Fällen, die von der FDA erfasst wurden, waren von 272 bei denen Informationen zur Oberflächenbeschaffenheit vorlagen 242 texturierte Implantate und nur in 30 ALCL-Fällen trugen die Patientinnen ein Implantat mit glatter Oberfläche. Die FDA gibt das BIA-ALCL-Risiko bei texturierten Implantaten daher mit 1 zu 3.817 bis 30.000 an.3
Auch andere Studien deuten darauf hin, dass aufgeraute Implantate ein höheres ALCL-Risiko beinhalten. Eine Studie aus Australien und Neuseeland legt allerdings nahe, dass das ALCL-Risiko mit dem Grad der Strukturierung steigen könnte. Frauen mit hochtexturierten Implantaten (Implantate mit sehr stark strukturierter Oberfläche) könnten demnach das höchste Risiko haben, an BIA-ALCL zu erkranken.
Allergan nahm 2018 seine hochtexturierten Implantate vom Markt
Die Firma Allergan nahm Ende 2018 vorsorglich eigenständig seine hochtexturierten Implantate und Gewebeexpander vom Markt. Betroffen waren die Produkte mit den sogenannten Biocell und Microcell Texturierungen, welche circa 80 bis 85 Prozent aller ALCL-Fälle weltweit ausmachen.
Obwohl es noch ausführlicher und vor allem langjährig angelegter Studien bedarf, um den Verdacht zu bestätigen, dass texturierte (raue) Implantate das BIA-ALCL-Risiko erhöhen, startete der Hersteller eine europaweite Rückrufaktion.
Texturierte und hochtexturierte Implantate anderer Hersteller sind jedoch weiterhin auf dem europäischen Markt erhältlich und auch hier ist es, obgleich auch deutlich seltener, zu vereinzelten Fällen von ALCL gekommen. Tatsächlich gibt es bis heute 37 Fälle (teilweise auch nur Verdachtsfälle) an ALCL in Deutschland, womit es grundsätzlich eine sehr, sehr selten Erkrankung ist.
An welchen Symptome ist BIA-ALCL erkennbar?
Leider werden die Symptome von BIA-ALCL oft erst spät mit der Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Dies liegt einerseits daran, dass die Erkrankung äußerst selten ist und die meisten Mediziner mit ALCL noch keine Erfahrungen haben. Hinzukommt, dass die Symptome bei BIA-ALCL recht vielfältig sind und sich das ALCL durchschnittlich erst 10 Jahre nach der Implantation bemerkbar macht.
Folgende Symptome können auf ein Brustimplantat-assoziiertes anaplastisches großzelliges Lymphom hindeuten:
- Serom: Ein Serom ist das häufigste Symptom einer BIA-ALCL-Erkrankung. Dabei kommt es zur Ansammlung von Flüssigkeit im Gewebe. Ein Serom enthält Lymphflüssigkeit oder Blutserum. Serome bilden sich oft nach einer Operation, nach Verletzungen oder Stößen. Tritt es als sogenanntes Spätserom über ein Jahr nach der Brustvergrößerung auf, kann es auf ein BIA-ALCL hindeuten.
- Geschwulst: Handelt es sich um ein raumforderndes Lymphom, kann dieses als Geschwulst in der Brust ertastbar sein.
Brustschwellung/Brustspannung/Brustasymmetrie: Die Brust kann anschwellen, dadurch kann ein Spannungsgefühl oder Druckschmerz entstehen, teils entsteht auch eine Asymmetrie der Brüste. - Ausschlag/Juckreiz/Rötungen: Rötungen oder ein Ausschlag an der Brust, eventuell begleitet von Juckreiz können ebenfalls auf BIA-ALCL hindeuten. Oft sind diese auf eine Entzündung zurückzuführen.
- Kapselverhärtung: Auch eine Verhärtung der Kapsel ähnlich wie bei einer Kapselfibrose kann auftreten.
Lymphadenopathie: Eine Vergrößerung der Lymphknoten kann unter den Achseln aber auch an anderen Körperstellen auftreten.
Die genannten Symptome können einzeln oder auch gemeinsam auftreten. Sollten Sie Brustimplantate tragen und eines oder mehrere der Symptome bei sich feststellen, sollten Sie in jedem Fall einen Arzt aufsuchen.
Mittels Ultraschall, MRT oder einem PET-CT lassen sich bilddiagnostisch Flüssigkeiten (Serom) oder auch Geschwülste nachweisen. Eine Mammografie ist für die Diagnose eines ALCL leider nicht hilfreich.
Wie stehen die Chancen auf Genesung bei BIA-ALCL?
Obwohl das BIA-ALCL eine aggressive Form des T-Zell-Lymphoms ist, sind die Prognosen bei Erkennung der Erkrankung gut. Es entwickelt sich nur ausgesprochen selten zu einer systemischen Erkrankung.
Dies bedeutet, dass es in der Regel ausreichend ist, das Lymphom inklusive des Implantats und der Kapsel zu entfernen. Wird die Kapsel nur teilweise entfernt, dann besteht allerdings das Risiko eines Rezidivs, also der erneuten Erkrankung. In vereinzelten Fällen kann auch eine Chemotherapie notwendig und sinnvoll sein.
Texturierte Implantate vorsorglich entfernen lassen?
Immer wieder taucht nun bei Patientinnen, die sich texturierte oder sogar hochtexturierte Implantate einsetzen haben lassen, die Frage auf, ob sie diese vorsorglich entfernen lassen sollten.
Die Antwort lautet nach Empfehlungen der American Society of Plastic Surgeons (ASPS) als auch der International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) eindeutig: Nein.
Das Risiko an BIA-ALCL zu erkranken, ist sehr gering, selbst bei hochtexturierten Implantaten. Wenn die Implantate keine Beschwerden bereiten und Sie auch weiterhin mit Ihrer Brustform und -größe zufrieden sind, ist eine Entfernung oder ein Wechsel nicht zwingend erforderlich.
Dennoch sollten Sie die jährliche Vorsorgeuntersuchung wahrnehmen und bei Veränderungen der Brust oder den oben genannten Symptomen einen Arzt aufsuchen.
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QUELLEN
- Brustimplantat-assoziiertes anaplastisches großzelliges Lymphom – BIA-ALCL. Aktueller Stand der Wissenschaft, A. Dierks, Prof. Dr. med. Chr. Jackisch, Prof. Dr. med. H. Menke, Hessisches Ärzteblatt 4/2020, S. 16Ff, online: https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/artikel/2020/april-2020/brustimplantat-assoziiertes-anaplastisches-grosszelliges-lymphom-bia-alcl
- Webseite der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie zum Thema BIA-ALCL: https://www.dgaepc.de/bia-alcl/
- Webseite des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/Brustimplantate_ALCL_FDA.html
- Webseite der U.S. Food and Drug Administration (FDA) zum Thema BIA-ALCL:
https://www.fda.gov/medical-devices/breast-implants/questions-and-answers-about-breast-implant-associated-anaplastic-large-cell-lymphoma-bia-alcl